Aliènor ist ein von Eleonore Pongratz (ehemals Wittekindt-Eismann) ins Leben gerufenes Projekt. Die 1953 geborene Musikerin war bereits um 1980 herum in der in Marburg beiheimateten Band Softeis an Keyboard und Gesang tätig gewesen und danach noch bei Anabis zu hören gewesen. Als Aliènor wiederum wurde schließlich Ende 2023 das Album "The Raven" veröffentlicht, das mit zahlreichen Gästen aufgenommene Musik in einem recht modernen und atmosphärischen Stil bietet. Bei "The Raven" von Aliènor handelt es sich eigentlich in kaum einer Hinsicht um ein Debüt: Ja, das Projekt von Eleonore Pongratz, zu früheren Zeiten offenbar erst unter dem Nachnamen Wittekind und dann unter Wittekind-Eismann bekannt, ist für sich genommen neu, aber besagte Urheberin war eben schon vor mehr als 40 Jahren musikalisch aktiv, und zwar bei einer hier möglicherweise noch interessanten, in Marburg beheimateten Truppe namens Softeis, die es unter - ich nehme jetzt mal zur Vermeidung weiterer Verwirrungen einfach den Vornamen - Eleonores Mitwirkung an Tasteninstrumenten und Mikrofon 1978 und 1981 Alben veröffentlichte. Danach war die Dame offenbar noch tätig und unter anderem auf dem Album "Theatre" von Anabis zu hören. Was seither passiert ist, wird natürlich nicht klar auf den Tisch gelegt, aber nun hat Eleonore mit internationalen Gästen eben ein Projekt unter ihrem leicht abgewandelten Vornamen zusammengestellt, und dafür ist diese Vergangenheit wohl auch weitgehend egal.
Zumal "The Raven", das Ergebnis dieser Anstrengungen auch recht modern klingt. In der Regel eröffnen die Stücke auf "The Raven" mit eher düsteren atmosphärischen Sounds, ehe es dann doch teils recht flott losgeht und sich zu einem groovigen Schlagzeug Riffs oder Keyboardmotive in Bewegung setzen. Beim Großteil der Stücke liegt Gesang vor, der je nach beteiligter Person mal klarer, mal rauher, in der Regel aber recht expressiv ausfällt, derweil die Begleitung bei aller Energie tendenziell ein wenig kühl bleibt. Hingegen markieren die Refrains natürlich wärmere Momente. Dazwischen gibt es einige recht lange Instrumentalteile, die sich zwar nie allzu weit von der bisherigen musikalischen Substanz des jeweiligen Songs entfernen, dafür aber durch Engagement und recht oft auch durch Wechsel zwischen Synth- und Gitarrensoli überzeugen können, deren Abläufe, Führungen und Gegenseitigkeiten von einer gelungenen Balance zeugen.
Ebenfalls im Boot sitzen noch einige artverwandte Stilelemente, die für eine gewisse Variation sorgen: "Back From Eternity" eröffnet mit Weltmusik-Gesang im Stile diverser Sachen von Sally Oldfield und auch in "Salam (Peace)" eine dazu passende fremdsprachige Erzählung zum Einstieg. Hingegen fällt "Pray For Silence" mit einigen offenbar zum Konzept dieser Nummer gehörigen Wiederholungen (gemeint sind diese "Overkill, overkill"-Gesänge) und eher abrupten Breaks auf, und ähnlich dazu gibt's auch in "Circle Of Life" und "Inescapable" einige entsprechend nervöse Einwürfe. In "Evil Rising" wiederum gibt's neben Alternative-kompatiblem Gesang ebenso in der Mitte auch einen "erzählend" gesungenen Part mit steigender Begleitung und später eine weitere dramatische Steigerung nicht über Melodien, sondern über die Schichtung flirrender Sounds. "Inescapable" und "Judgement Day" schließlich markieren mit einer latent hardrockigen Ausrichtung in der Art schließlich das vergleichsweise schwere Ende der stilistischen Bandbreite auf "The Raven".
Natürlich sind die Songs des Albums abseits der schon erwähnten recht ausladenden Intros und der instrumentalen Mittelteile nicht übermäßig vertrackt aufgebaut, aber dafür ergibt sich natürlich ein recht bündiger, fokussierter Ablauf, der den Schwerpunkt am Ende stark auf die Atmosphäre und die Stimmungen der einzelnen Stücke legt. Und schau an: Durch diesen Fokus auf die Klangästhetik geht "The Raven" am Ende tatsächlich schon als New-Artrock-Album durch, hat vergleichbaren Platten aber immerhin den um einiges weniger indifferenten Gesang und die engagierte Instrumentalarbeit voraus. Rundum gelungen ist hier angesichts einiger letztlich doch nerviger Wiederholungen in "Evil Rising" und "Pray For Silence" oder dem skizzenhaften Charakter von "Salam (Peace)" zwar nicht alles, aber in Summe ist "The Raven" schon ein Album, das Interesse an sich zu belohnen vermag. Vielleicht hat Eleonore Pongratz' damit schon jetzt mehr impact als die eingangs genannten Alben?